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Mehrsprachigkeit im Unterricht

Inhalt
Mehrsprachigkeit ist längst Realität, in der Gesellschaft und im Klassenzimmer. Die Sprachenrepertoires der Schüler*innen sind dynamisch: Viele von ihnen sprechen mehrere Sprachen und wechseln je nach Situation zwischen unterschiedlichen Sprachen. Sie nutzen beispielsweise mehrere Familiensprachen, lernen Bildungssprache und weitere Sprachen in der Schule, sprechen Dialekte oder Soziolekte. Und sie können ihre Sprachverwendung an Ort, Person und Kontext anpassen. Doch dieser vielseitige Umgang mit Sprache wird in der Schule oft nicht als Stärke gesehen. Stattdessen werden Sprachen hierarchisiert: Minderheitensprachen haben oft keinen Platz. Deutsch dominiert den Unterricht und gute Deutschkenntnisse entscheiden über den Zugang zu Lerninhalten. Im Bildungssystem anerkannte Sprachen wie Englisch, Französisch oder Spanisch erfahren Wertschätzung. Diese Fokussierung auf sprachliche Kompetenzen in einer Sprache – der sogenannte „monolinguale Habitus” der Schule [vgl. Gogolin, 1994] – führt oft dazu, dass Schüler*innen mit sich entwickelnden Sprachkenntnissen weniger Zugang zu Bildung haben. Manche Schüler*innen erleben sogar, dass ihre Erstsprache(n) verboten werden.
Das hat Folgen: Wenn Schüler*innen ihre Sprache nicht nutzen dürfen, fühlen sie sich weniger zugehörig und wichtige Teile ihrer Identitäten werden ausgeschlossen. Sie werden diskriminiert. Dieser Vorgang wird in der Wissenschaft „Linguizismus“ genannt. Die Schule sollte sich ihrer Macht, das Sprechen zu normieren, bewusst sein, und dabei immer wieder hinterfragen, welche Sprachideologien im Unterricht weitergegeben werden.
![mehrsprachigkeit-definitionen-sprachen Es ist ein Schaubild mit folgenden Zitaten zu sehen: Das Sprachenrepertoire wird als ein Ganzes begriffen, das jene Sprachen, Dialekte, Stile, Register, Codes und Routinen einschließt, die die Interaktion im Alltag charakterisieren. Ein Zitat von Busch aus dem Buch Mehrsprachigkeit. Es gibt zwei weitere Definitonen zum monolingualen Habitus und Linguizismus. Der monolinguale Habitus ...beschreibt die einsprachige Ausrichtung der Bildungsprozesse im deutschen Schulsystem. Ein Zitat von Gogolin, 1994. Linguizismus ist eine spezielle Form des Rassismus, die in Vorurteilen und Sanktionen gegenüber Menschen, die eine bestimmte Sprache bzw. eine Sprache in einer durch ihre ‚Herkunft‘ beeinflussten spezifischen Art und Weise [z. B. mit einem Akzent] verwenden, zum Ausdruck kommt. Ein Zitat von Dirim, 2019.](https://www.schlau-lernen.org/wp-content/uploads/elementor/thumbs/Thema_Mehrsprachigkeit-im-Unterricht_1344x518_Wichtiges-in-Kuerze-r2d47mg2gif2mk7dgk7dmo3ifbg82d6sjaww77jo70.png)
Wir entwickeln eine Haltung zu Mehrsprachigkeit!
Sprachenvielfalt sollte als Chance und Ressource gesehen werden. Der Mythos, dass die Nutzung anderer Sprachen den Deutschspracherwerb behindert, ist widerlegt. Im Gegensatz: Aus der Berücksichtigung von Erst- bzw. Familiensprachen im Klassenzimmer können sich Lernvorteile ergeben: Lerner*innen, die über mehr sprachliche Ressourcen verfügen, haben eine große Basis an sprachlichem Wissen, das dem Erwerb weiterer Sprachen zugutekommt. Lernbegleiter*innen können also eine ressourcenorientierte und diskriminierungssensible Haltung einnehmen, indem sie eigene sprachlich hierarchisierende Einstellungen reflektieren. Im Unterricht kann durch gezielte Maßnahmen Raum für alle Sprachen geschaffen werden. Dazu gehört nicht nur das Vermeiden von Sprachverboten, sondern auch die gezielte Nutzung des Sprachwissens der Schüler*innen für den Unterricht und das Miteinander, also die Sichtbarmachung der sprachlichen Identitäten der Klassengemeinschaft. Die Gestaltung der Schulkultur spielt schließlich eine entscheidende Rolle. Mehrsprachige Kommunikation mit Eltern, das Einholen von Informationen über Familiensprachen, eine klare Positionierung gegen Sprachverbote oder das Angebot von herkunftssprachlichem Unterricht (HSU) sind Ansätze, die Schulen strukturell verankern können. Kooperationen zwischen Lehrkräften und pädagogischen Mitarbeitenden sowie gezielte Fortbildungen fördern die Umsetzung dieser Prinzipien zusätzlich. Eine sprachlich inklusive Schulkultur basiert auf dem wertschätzenden Umgang mit dem Gesamtsprachenrepertoire ALLER Schüler*innen.
Translanguaging und mehrsprachige Methoden
- Das persönliche Interesse an Sprachen unterstützt eine offene und neugierige Haltung.
Das heißt aber nicht, dass du als Lernbegleiterin alle vorhandenen Sprachen sprechen musst. Alle Schüler*innen müssen aber in ihren Sprachen sein dürfen, auch wenn nicht alle alles verstehen können. - Du kannst Bündnisse mit Kolleg*innen bilden. Ihr könnt gemeinsame Projekte planen und so die Sprachenvielfalt sichtbar machen. Professionelle Lerngemeinschaften geben euch einen regelmäßigen Austauschraum zu dem Thema Mehrsprachigkeit. Aus der Erfahrung wissen wir, dass es hilfreich ist, Verantwortlichkeiten festzuhalten.
- Erlaube deinen Schüler*innen ihr Gesamtsprachenrepertoire für das Lernen zu nutzen.
Sie erschließen sich Bedeutungen von Inhalten wie Aufgabenstellungen oder neuem Wortschatz entlang verschiedener sprachlicher Zugänge. Dass dabei die Grenzen zwischen den Sprachen fluide sind, ist kein Zeichen für sprachliche Defizite, sondern ein Zeichen für einen fluiden Sprachgebrauch. - Die Arbeit mit erziehenden Personen kann mehrsprachig gestaltet werden.
Übersetze dazu z.B. Elternbriefe oder organisiere Lesecafés mit Literatur in verschiedenen Sprachen. KI-Tools können dir dabei helfen, direkte Übersetzungen von geschriebenem oder gesprochenem Wort anzubieten. - Schüler*innen sind nicht automatisch Expert*innen in Sprach- oder Kulturfragen.
Wichtig ist, dass sie selbst entscheiden können, welche Elemente ihrer Identitäten an kulturelle oder sprachliche Verortungen gebunden sind, und bringen diese freiwillig ein. Eine sprachensensible Lernumgebung bietet immer wieder den Raum, Sprachen einzubringen.
Wie genau?
Du fragst dich, wie du die Mehrsprachigkeit ganz konkret in deinem Unterricht berücksichtigen kannst? Hier sind ein paar Vorschläge:
- Einbindung der Sprachen in Ritualen, z.B. beim Klassenrat oder bei Begrüßungen
- Visualisierungen im Klassenraum, z.B. Lieblingswörter oder mehrsprachige Wortspeicher
- Sprachreflexionen vornehmen, z.B. Sprachenportrait, Sprachenblume usw.
- Mehrsprachige Aufgabenstellungen oder Nutzung von Übersetzungstools erlauben, z.B. bei Lernvideos mit mehrsprachigen Untertiteln
- In der Kommunikation nach außen, z.B. mit mehrsprachigen Elternbriefen
Unsere Angebote zum Thema Mehrsprachigkeit
Unterrichtsmaterial
Sonstiges
Didaktische Tipps | Die Nutzung und und Pflege der Erst- oder Familiensprache(n) fördert den Erwerb der deutschen Sprache. Hintergrundwissen und ganz konkrete Tipps unterstützen dich dabei, einen ressourcenorientierten und pragmatischen Umgang mit Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer zu leben.
Methodensammlung | „Das mehrsprachige Klassenzimmer als Chance“ – das ist das Motto dieser Methodensammlung. Sie bietet dir verschiedene Ansätze für den mehrsprachigen Schulalltag und Unterricht und zeigt, wie du das umfassende sprachliche Wissen deiner Schüler*innen unbeschwert nutzen, fördern und wertschätzen kannst.
Jim Cummins über Sprache und Identität
In diesem Video spricht der Pädagoge und Professor Jim Cummins über mehrsprachige Schüler*innen und die Bedeutung von Mehrsprachigkeit. Das Video ist auf Englisch.
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Mehr InformationenQuellenverzeichnis:
Busch, B. (2017): Mehrsprachigkeit. Wien/Stuttgart: facultas.
Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. (2024): Glossar. https://www.idaev.de/recherchetools/glossar, Zugriff: 18.12.2024
Gogolin, Ingrid (1994): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster: Waxmann.
Thöne, C. / Kölling, M. (2023): Translanguaging als Weg zur mehrsprachigen Bildung? In: E. Hack-Cengizalp et al. (Hrsg.): Mehrsprachigkeit und Bildungspraxis. WBV Media GmbH & Co, 13-32.